Rezension von Viviane Schachler, Fulda
Erschienen in: Teilhabe, die Fachzeitschrift der Lebenshilfe, Ausgabe 4/2020


Der Herausgeberband umfasst 22 Beiträge sowie einen abschließenden Dialog der Herausgeber zum
Zustand sowie den Entwicklungs- oder Umgestaltungspotenzialen des Leistungssystems zur
beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Im Kern geht es um die Werkstatt für
behinderte Menschen (WfbM) und dazu bestehende alternative Möglichkeiten. Anliegen der
Publikation ist es, vorhandene unterschiedliche Meinungen aufzuzeigen und möglichst konkrete
Vorschläge zur Weiterentwicklung der beruflichen Teilhabe für Menschen mit Behinderung" zu
erörtern. Dies gelingt den verschiedenen Autorinnen in ihren Ausführungen von je 5 bis 8 Seiten
unterschiedlich gut.
Im ersten Abschnitt des Buches ,,Das System der beruflichen Teilhabe weiter entwickeln" wird
zunächst der Blick auf die Beschäftigungssituation von Menschen mit anerkannter
Schwerbehinderung und die vorhandenen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben insgesamt
gerichtet. Während dieses Kapitel noch etwas langatmig zu lesen ist, fällt der Abschnitt „Die
Werkstatt für behinderte Menschen weiter entwickeln" spannender aus. Hier kann eine lehrreiche
Antwort auf die Frage gefunden werden, wie die Vorgaben des Artikels 27 UN BRK verfassungs- und
völkerrechtlich einzuordnen sind (MASUCH).
Spätestens im vierten Kapitel ,,Das System der beruflichen Teilhabe umgestalten" steigt das
Spannungs- und Innovationsniveau, wenn die neuen Alternativen zur WfbM skeptisch betrachtet
(FREHE) und konsequentere Möglichkeiten zur Umgestaltung benannt werden (z. B. die Umwandlung
der WfbM in Inklusionsbetriebe). Oder DEUSCH aus seiner langjährigen Berufserfahrung heraus den
„hohen Aufwand zur Überwindung geführt der Systemgrenzen" schildert, der im Übergangsbereich
WfbM - allgemeiner Arbeitsmarkt aus seiner Sicht derzeit noch notwendig ist.
Hieran knüpft auch Kapitel fünf „Mehr Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt er
möglichen" an, in dem u. a. praxisnah geschildert wird, warum vorhandene Maßnahmen und
Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben noch unzureichend genutzt werden (BUNGART) und wie
sich dies verbessern ließe. Mit einem Blick in das Jahr 2029 wird in diesem Kapitel zudem eine
Agenda beschrieben, mit der mittels (kleinschrittiger) Maßnahmen der Weg in Richtung eines
inklusiven Arbeitsmarktes begehbar wäre (VIEWEG). In den Kapiteln drei und sechs wird die
berufliche Bildung und spezifische Bedarfe unterschiedlicher Personenkreise näher betrachtet.
Im Gesamtblick ist das Buch für Personen interessant, die sich einen Überblick dazu verschaffen
möchten, welche Maßnahmen im System der beruflichen Teilhabe für Menschen mit Behinderungen
möglich und welche Themen und Akteur*innen hier aktuell bedeutsam sind. Interessant ist das Buch
vor allem auch für Personen, die Antworten auf Fragen wie die folgenden suchen: Warum werden
vorhandene alternative Wege zur WfbM unzureichend beschritten? Wie kann das Leistungssystem
zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - und insbesondere die WfbM - punktuell
weiterentwickelt werden? Worin liegen Ansätze für weitergehende Systemveränderungen? Wie sind
die Vorgaben der UN-BRK und die sich daran anschließende Forderung zur Auflösung der WfbM
einzuordnen?
Mit der Publikation „Weiter entwickeln - aber wie?" gelingt es den Herausgebern sehr gut,
verschiedene Blickwinkel zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung in einem Band
zusammenzustellen und damit einen Dialog in der mitunter emotional geführten Debatte um die
Zukunft der WfbM zu starten. Es sind u. a. Beiträge von Vertreter*innen der Einrichtungen, von
Behörden, von Verbänden, von Interessenvertretungen, der Selbsthilfe und von Universitäten
enthalten. Der Inhalt zeigt, dass ein Schwarz-Weiß-Denken zu WfbM wenig sachgerecht ist und es
keine einfachen Lösungen gibt. Ideen für mögliche Weiterentwicklungen gibt es dagegen viele.
Kritisch angemerkt werden kann, dass Werkstattbeschäftigte selbst kaum zu Wort kommen. Zwar
sind im Sammelband auch Beiträge von Werkstatträte Deutschland e.V. und der übergreifenden
Interessenvertretung Aktion Psychisch Kranke e.V. enthalten, jedoch sollte die Entwicklung des
künftigen beruflichen Unterstützungssystems insbesondere auch aus Sicht der Betroffenen und die
„Werkstatt der Zukunft“ unmittelbar mit Werkstattbeschäftigten diskutiert werden, damit deren
Sichtweisen im Fachdiskurs nicht untergehen.